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Langsam, aber stetig

David Parletts Erfolgstory

von Bruce Whitehill (Spielbox, #1-2012)

English translation

Page image Was auch immer Du im Gespräch mit David Parlett sagen magst, hüte Dich, rabbits oder turtles zu erwahnen! Denn wenn Du es tust, wird er Dich unweigerlich belehren, dass ein rabbit sich erheblich von einem hare unterscheide (na ja, ein Karnickel ist schließlich kein Hase) and dass ein turtle noch lange kein tortoise sei - Wasserschildkröte ist eben nicht gleich Landschildkröte…) Und David Parlett sollte sich auskennen: Sein HARE AND TORTOISE aus dem Jahr 1973, in der deutschen Fassung HASE UND IGEL, ist seit fast 40 Jahren auf dem Markt.

Nicht nur die Liebe zu Spielen und seine Erfindungsgabe machen David Parlett zu einem höchst faszinierenden Menschen. Seine Interessen - und Talente - erstrecken sich auch auf solch spezielle Dinge wie die Kompositionen von Sir Arnold Bax (1883-1953), die Liedtexte aus Carl Orffs Chorwerk Carmina Burana, die er in - wie er es nennt - „singbare englische Lyrik" übersetzt hat, sowie Jane Austens Romane, die er wiederholt gelesen und dabei alle Erwahnungen von Kartenspielen niedergeschrieben hat. Laut Parlett sind ihre Romane „reich an Hinweisen auf Kartenspiele, und sie wusste offensichtlich, wovon sie sprach." Außerdem fotografiert er gern - eine Beschäftigung, die er als „schnelleren, saubereren" Ersatz für das Malen bezeichnet. Doch auch in letzterem versucht er sich nach wie vor, insbesondere in Federzeichnungen von Landschaften.

David Parlett mag ein Multitalent sein, ist aber doch vorrangig für seine ambitionierte Arbeit im Spielebereich bekannt. 21 Bücher hat er verfasst, darunter die Penguin Encyclopedia of Card Games (1979), Family Card Games (1984, veröffentlicht unter dem Pseudonym P. R. Jackson), die Oxford History of Board Games (1999), Oxford A-Z of Card Games (2004) sowie überarbeitete und neu gestaltete Ausgaben dieser Bücher und fremdsprachige Editionen auf Spanisch, Ungarisch und Japanisch (so wie auch die deutsche übersetzung vieler Spiele auf seiner Website, veröffentlicht vom Bambus Verlag im Jahr 2008). Er verfasste eine Reihe von Teach Yourself Büchern zu Kartenspielen und war der Autor eines Buches über Patiencen (The Penguin Book of Patience, 1979), das von manchen als das umfangreichste je veröffentlichte Buch zu diesem Thema angesehen wird.

Nebenbei ist Parlett auch ein Filmliebhaber und daher sehr stolz darauf, Kartenspiele für historische Film- und Fernsehproduktionen in Szene gesetzt zu haben; für ihre Auftritte in BBC-Fernsehfilmen und auf der Bühne brachte er außerdem diversen Schauspielern WHIST, POPE JOAN und BEZIQUE bei. Dieser unübertreffliche, sanftmütige britische Spieleforscher klingt und sieht sogar ein bisschen so aus wie sein Lieblingsfilmschaupieler Michael Caine (beide stammen aus South London). Dennoch ist David Parlett in erster Linie für eine besondere Leistung weltweit bekannt geworden: HARE AND TORTOISE. Doch dazu später mehr…

David Parlett ist ein unermüdlicher Autor; neben seinen Büchern hat er auch zahlreiche Artikel verfasst. 1972 begann er mit dem Schreiben, und zwar - kurz nach ihrem ersten Erscheinen - für die Zeitschrift Games and Puzzles. Zuvor hatte er bereits NINETY-NINE erfunden, nach eigener Aussage sein erfolgreichstes Kartenspiel; es wurde 1968 produziert, ist heutzutage jedoch gemeinfrei (wie dies bei Spielen mit gewöhnlichen Spielkarten oft geschieht).

Dutzende weiterer Kartenspiele folgten. Als wohl deren bestes führt Parlett selbst BUGAMI an. Ein Favorit aus jüngster Zeit ist PARITY, das - wie viele seiner Ideen - auf seiner Website erschienen, aber nie verlegt worden ist. „Kartenspiele ohne Thema kann man nicht veröffentlichen. Ich mag abstrakte Spiele mit sehr einfachen Regeln - doch sie lassen sich nicht vermarkten; man kann sie nur auf seiner Website präsentieren and zulassen, dass Leute ihre eigenen Exemplare anfertigen."

David Parlett bevorzugt Klassiker, für die lediglich gewöhnliche Spielkarten erforderlich sind wie CRIBBAGE, SIXTY-SIX, PIQUET, SPADES oder SKAT. BRIDGE spielt er auch, meint aber, es werde „welt Liberschatzt - und von einigen höchst unangenehmen Zeitgenossen gespielt." Als President des Britischen Skatverbandes hat Parlett einen anderen Favoriten, und das seit 50 Jahren; Parletts erstes Spielebuch trug denn auch den Titel Teach yourself Card Games for Three.

Kartenspiele schatzt Parlett mehr als Brettspiele, Abstraktes mehr als Thematisches und Spieltiefe mehr als Komplexität. „Ich mag keine komplizierten Spiele", merkt er an. „Ich mochte in der Lage sein, die Regeln zu lesen, bevor ich ein Spiel spiele, nicht währenddessen." Und als Historiker ist er nicht sonderlich an zeitgenossischen Spielen interessiert - „außer abstrakten, da diese zeitlos sind", fügt Parlett hinzu. Sein abstraktes Lieblingsspiel ist PENTOMINOES von Solomon Golomb (Mathematiker und Verfasser von Polyominoes, der Inspiration für das Computerspiel TETRIS).

Sein Interesse an Spielen begann, so mutmaßt David Parlett, als er im Alter von etwa sieben Jahren in der Spielesammlung seines Cousins auf ein DOMINO-Set mit bunten Augen stieß. Ein Vierteljahrhundert später, mit 34 Jahren, verhandelte er dann mit Verlagen Ober den Verkauf seines HARE AND TORTOISE. Das war Ende 1973. „Die 1970er Jahre waren die Blütezeit für Spiele in Großbritannien, doch dann ließ das nach. Jetzt wird das Land mit US-Importen überschwemmt, und englische Kleinverlage blühen heute auf und gehen morgen ein. Meiner Meinung nach werden die besten Spiele heutzutage in Deutschland veröffentlicht".

HARE AND TORTOISE wurde zuerst von Intellect Games veröffentlicht, einem britischen Verlag, der sich nicht sehr lange hielt. Datiert war das Spiel auf 1973, doch „es war nur ein paar Tage vor Weihnachten, als das Spiel angenommen und ein Vertrag unterzeichnet wurde. Tatsächlich kam es erst ungefähr im Mai 1974 heraus." Nach eigener Aussage „erfand [er] es im Oktober, und im November war es fertig!" Bisher wurden über zwei Millionen Exemplare in mindestens zehn Sprachen und verschiedenen Ausgaben verkauft, mit leichten Regeländerungen bei jeder neuen Fassung. Parlett sagt, die Ravensburger-Ausgabe von HASE UND IGEL von 1978 - ein Jahr darauf zum ersten „Spiel des Jahres" gekürt - sei in punkto Design sein Favorit gewesen. „ Die Waddington-Edition war nicht sonderlich gut gestaltet, und die frühe Gibsons-Ausgabe bot lediglich einen schwachen Abklatsch des Originaldesigns." Allerdings halt Parlett die Aufmachung der Laufstrecke im Gibsons-Spiel von 1987 (wiederaufgenommen 2000 von ABACUSSPIELE) für weitaus besser als das Originallayout von 1974 und 1979.

Die Idee ZU HARE AND TORTOISE basiert auf einer Fabel von Aesop, in der die bedächtige Schildkröte gewinnt, weil der schnelle Hase ein Schläfchen einlegt; und die Moral von der Geschichte ist, dass der Langsame, aber Beständige gewinnt. In Deutschland ist das Grimmsche Märchen vom Hasen und dem Igel, in dem der Igel den Hasen besiegt, bekannter als die Aesopsche Fabel. Interessant ist, dass im Märchen der Gebrüder Grimm der Igel Erfolg hat, indem er sich eines Tricks bedient (seine Frau gibt sich für ihn aus und klinkt sich von Zeit zu Zeit vor dem Hasen in das Rennen ein). Das Design der Spielfiguren sollte es möglich machen, statt der Schildkrötenfigur auch den Igel zu verwenden, da einige europäische Länder die letztere Figur bevorzugten. Die Tatsache, dass Amerikaner die Figuren als „turtles" und „rabbits" bezeichnen, hat Parlett stets geärgert - vielleicht kann dieser Artikel dies endlich richtigstellen… „Kaninchen sind ekelhaft possierlich, knuddelig und gesellig", führt Parlett aus, „während Hasen exzentrische Individualisten sind und zum Einzelgangertum neigen. Ich selbst habe mehr von einem Hasen als von einem 'bunny'."

Bei HARE AND TORTOISE wird die Bewegung auf pfiffige Weise gesteuert: Karotten dienen als Treibstoff. Je mehr Felder man gehen möchte, desto mehr Karotten muss man ausgeben. Zum Beispiel kostet es eine Karotte, ein Feld zurückzulegen, aber zehn Karotten vier Felder weit zu ziehen. Die Position eines Spielers im Wettlauf wiederum bestimmt, wie viele Karotten er bekommen kann, wenn er sich zurückfallen lässt. Allerdings kann man den Wettlauf nicht beenden, wenn man zu viele Karotten übrig hat. Und dann gibt es da auch noch die Salat-Karten…

Den Spielmechanismus hat Parlett einem seiner früheren (unveröffentlichten) Prototypen entlehnt: „Space Race" - um die Zeit der ersten Mondlandung herum entwickelt das allerdings damals als zu kompliziert erachtet wurde. Als er den Mechanismus ausprobierte, kam er auf die Idee von „langsam-aber-stetig" und dem Hase-und-Schildkröte-Thema. „Das Problem ist, dass es wie ein Kinderspiel aussieht - doch das ist es mitnichten", erlautert Parlett. „In all den Jahren, seit das Spiel existiert, war dies ein ständiger Kritikpunkt."

Die 2008 erschienene neue Ravensburger-Ausgabe von HASE UND IGEL führte Layout wieder ein, das zuerst 1987 bei Gibson erschienen war, und änderte die Regel für den speziellen Fall, dass man auf einem Hasen-Feld landet das einzige Glückselement in diesem Spiel (in der englischen Spielregel wird dies „den Hasen pfeffern" genannt). Parlett ging auf die äußerungen verschiedener Spieler ein, insbesondere auf Vorschlage von HARE AND TORTOISE-Kennern aus einer Google-Newsgroup. Wie Parlett sagt, machen die Änderungen diese Version, „wenn es nach mir geht, zur definitiven Ausgabe."

2010 brachte Gibsons in Großbritannien eine neu gestaltete englischsprachige Fassung heraus. Diese jüngste Version erhielt ein neues grafisches Design, das im Einklang mit dem abstrakten Prinzip des Spiels steht; und die Laufstrecke ist umgeben von Abbildungen berühmter englischer Wahrzeichen, wie z. B. Blackpool Tower und St Paul's Cathedral.

Photo Auch wenn vier Jahrzehnte vergangen sind, seit HARE AND TORTOISE auf den Markt kam, hat Parlett die Hoffnung nicht aufgegeben, einen weiteren Hit zu landen. „Ich habe mindestens ein halbes Dutzend Spiele, die auf den richtigen Verleger warten", berichtet er.

Ich frage David Parlett, ob er meine, der langsame, aber stetige Verkauf seines Spiels über Jahrzehnte könne als Analogie zu der Geschichte vom Hasen und der Schildkröte betrachtet werden. Seine Antwort: „Hmm - jetzt, wo Du es sagst…"

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